Samstag, 14. Juni 2008

Über die Selbstabmeldung einer Journalisten-Schicht aus dem kritischen Diskurs

Dass die Springer-Presse und die FAZ das irische "No" als Effekt populistischer Verdummung geißeln, war ja nicht anders zu erwarten. Merke: Populist ist immer derjenige, der politische Ideen hat, die von der herrschenden Lehre abweichen. Und Opfer von Populisten ist natürlich der "Pöbel" immer dann, wenn er mal anders abstimmt, als es die Mächtigen gern hätten. Dann ist die Demokratie in Gefahr. Alternativ ist natürlich Oskar Lafontaine Populist. Immer. Egal, ob er Forderungen aufstellt, die vor einigen Jahren selbst bei der deutschnationalen Christenpartei, vulgo: CDU/CSU, noch Konsens waren. Aber das ist eine andere Baustelle.

Was sagt mir ein Blick in die Süddeutsche Zeitung zum Lissaboner "Reformvertrag", der doch zu über 90% mit der EU-"Verfassung" identisch ist und mit der neoliberale und imperialistische Politik Verfassungsrang erhalten hätte? Erst mal: nichts. Zumindest nichts zum Inhalt des Vertrags. Der Tenor der SZ und der Massenmedien: "Da gibt es einen Vertrag. Der ist für alle gut. Eigentlich muss man ihn wollen, wären da nicht die Miesmacher."

Welch erschreckendes Demokratieverständnis selbst ein Blatt wie die SZ offenbart, ja, wie weit sich die SZ (und mit ihr, so würde ich einschätzen, die gesamten "freien" Medien) von den Menschen entfernt hat, die gern "einfache Leute" genannt werden, verdeutlicht das Tableau, das einem die SZ heute zu diesem Thema bot:


Bis zum Referendum in Irland hat die EU bei vier Abstimmungen Schiffbruch erlitten, zweimal wurde das Votum durch eine Wiederholung der Wahl korrigiert.


Merke: solange "wählen" lassen, bis das erwünschte Ergebnis zustande kommt. Dass ein "Ja" das einzig legitime Ergebnis ist, drückt ja schon das Verb "korrigieren" aus. Zwischentöne? Igitt, nein!

Blicken wir nach links oben, zum "Experten", der ein "Demokratiedefizit" sieht. Potztausend, denkt man sich. Sollte jetzt wirklich auf das eklatante Demokratiedefizit hingewiesen werden, das darin besteht, "Verfassungen" ohne Rücksicht auf die Bevölkerung durchzusetzen, flankiert von willfährigen Massenmedien? Oder auf das generelle Demokratiedefizit der EU, in der die Exekutive schalten und walten kann, wie es ihr beliebt und in der das Parlament abnicken darf, was ihm vorgelegt wird? Weit gefehlt - es geht um die frechen Iren, die sich trotz mangelnder Fertilität das Recht herausnehmen, wichtige "Reformwerke" zu torpedieren. Da sollte man doch, mit einem Blick nach unten, darüber nachdenken, ob die Iren ihre Subventionsmillionen auch verdient haben und ob "die Segnungen der EU" auch "überall gleich stark angekommen" sind. Undankbares Pack.

Und was droht, wenn "sowas" Schule macht? "[...] die EU wird in Bedeutungslosigkeit versinken, wenn sie sich ihre Geschwindigkeit weiter von den Langsamen und Unwilligen diktieren lässt."

Dass sich der Verfasser dieser Zeilen, Martin Winter, nicht entblödet, auf noch billigere Kollektivsymbole wie "Wachstumslokomotive" oder "rote Laterne" zurückzugreifen, grenzt fast an ein Wunder.

Die Auflagen der großen Zeitungen sinken. Das könnte wiederum vielleicht etwas damit zu tun haben, dass sich eine Journalistenschicht, die mal versucht hat, auf die Verhältnisse einzuwirken, längst aus dem kritischen Diskurs abgemeldet hat und sich darauf beschränkt, die offiziösen Verlautbarungen widerzukäuen, manchmal unterbrochen durch Exkurse in den Moralismus, wenn die Widersprüche allzu groß werden. Denn weshalb sollte ich die Süddeutsche Zeitung, die Frankfurter Rundschau, die FAZ oder andere Blätter lesen, wenn ich doch genau weiß, dass sie sich auf die Seite der Macht geschlagen haben?

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